Baltimore

Baltimore ist unsere erste richtige Grossstadt in Amerika. Seit drei Monaten leben wir jetzt hier, Gabriele hat mittlerweile Arbeit gefunden (immerhin an der renommierten Johns Hopkins University, worauf sie zurecht stolz ist). Wie schon oft, lernen wir auch hier die wesentlichen Details erst im Laufe der Zeit erkennen. Der Stadthafen, wo auch unsere Marina liegt, ist ein Musterbeispiel fuer amerikanischen Unternehmergeist, Innovationsfreude und "das packen wir jetzt an"-Mentalitaet. Noch vor vierzig Jahren standen hier nur leere Lagerhallen, verfallene Piers und heruntergekommene Werften. In einer einzigartigen Kampagne hat die ganze Stadt in die Haende gespuckt und getrieben von dem Glauben, dass nur eiserner und tatkraeftiger Optimismus wirklich etwas veraendern kann, aus einem Truemmerhaufen ein glitzerndes, lebendiges Stadtzentrum geschaffen. Die Geschaeftswelt, Banken, aber auch Freizeit und Tourismus haben hier eine neue, ueberaus attraktive Heimat gefunden. Publikumsmagneten sind die rund um den Hafen gruppierten Museen, das weltberuehmte Aquarium und die vielen Restaurants und Geschaefte mit Angeboten fuer jeden Geschmack.

US Constellation

USS Constellation, das letzte Kriegsschiff aus der Aera des Buergerkrieges, gebaut 1854, heute Bestandteil des Maritime Museum

Ehemaliges Feuerschiff Chesapeake, ebenfalls Bestandteil des Maritime Museum, dahinter das Aquarium

Aber hinter den spiegelnden Fassaden aus Stahl und Glas, gibt es noch die dunkle Seite: Baltimore hat die hoechste Kriminalitaetsrate in den USA, hier werden jedes Jahr 300 Menschen erschossen, die HIV- Rate ist so hoch wie die Arbeitslosigkeit, Drogen- und Bandenkriege gehoeren zum Alltag. 65 % der Bevoelkerung sind schwarz und damit nach wie vor minderprivilegiert. Das Schulsystem leidet unter permanenter Unterfinanzierung und der neue Gouverneur, gerade gewaehlt, hat schon wieder eine Mittelkuerzung beschlossen. Bestimmte Stadtviertel, nicht weit vom Glamour entfernt, werden von Einheimischen als "war zone" bezeichnet. Weisse fahren hier nur bei Tage mit gesicherten Tueren so schnell wie moeglich durch, bei Nacht ueberhaupt nicht. Es gibt ein fuer Amerika erstaunliches, halbwegs funktionierendes, oeffentliches Nahverkehrssystem, in dem wir mit schoener Regelmaessigkeit fast die einzigen weissen Fahrgaeste sind.

Ach ja, die Umweltverschmutzung sollten wir auch noch erwaehnen. Baltimore hat die schlechteste Luft an der ganzen Ostkueste. Und dann gibt es da auch noch die vermutete Grundwasserbelastung durch ein nahe gelegenes militaerisches Testgelaende, ueber die man auch nur vage Informationen bekommt. Von den Atomkraftwerken an der Chesapeake Bay wollen wir gar nicht erst reden. Trotzdem, auch wenn es noch so kalt ist und ich heute schon wieder Schnee schippen musste, wir moegen es hier. Wir sind vorsichtig und versuchen, uns an die Regeln zu halten. Bisher haben wir uns noch nirgendwo unsicher gefuehlt. Hier tobt das Leben. Wir nehmen Teil am Alltag einer aufstrebenden Metropole, die sich nicht aufgegeben hat, und den Kampf gegen all das, was moderne Grossstaedte eigentlich unbewohnbar macht, jeden Tag aufs Neue wieder aufnimmt.

Blick auf Aquarium und die Skyline


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